Zwischen Trümmern und Hoffnung: Ein Schweizer Team im Katastropheneinsatz

Am 6. Februar 2023 erschütterte ein verheerendes Doppelbeben den Südosten der Türkei und Teile Syriens. Mit Magnituden von 7,8 und 7,6 trafen die Erschütterungen insbesondere die Region um Kahramanmaraş und Gaziantep schwer. Über 50.000 Menschen verloren in der Türkei ihr Leben, Zehntausende wurden verletzt, ganze Stadtviertel zerstört. Es war die schwerste Naturkatastrophe in der türkischen Republik seit fast einem Jahrhundert.

Neben staatlichen Rettungseinheiten waren auch freiwillige Teams aus dem Ausland auf den Weg ins Katastrophengebiet. Eines davon kam aus der Schweiz.

Auf Initiative eines Basler Gastronomen und Katastrophenhelfers, dessen Familie das Restaurant Vogel Gryff in Basel führt, flog eine Gruppe aus insgesamt 17 Personen direkt nach Bekanntwerden der Katastrophe in die Türkei. «Wir haben durch die Nachrichten davon erfahren. Dann habe ich herumtelefoniert und gesagt: Jetzt müssen wir los. Nur kurz von der Frau verabschieden, dann auf zum Flughafen», erinnert sich Halilibrahim Baskut.

Eine Stunde später war das Team am Flughafen Zürich, mit Turkish Airlines ging es direkt ins Krisengebiet.

Der Einsatz war spontan, aber keineswegs unkoordiniert: Rund 20 bis 30 Prozent der Gruppe hatten professionelle Erfahrung aus Feuerwehr oder Rettungsdiensten. Die restlichen Teilnehmer waren engagierte Freiwillige. Ziel war es, Verschüttete zu lokalisieren und zu retten.


Kahramanmaraş (Marash), Türkei – 6. Februar 2023: Nach einem Erdbeben der Stärke 7,8 in Kahramanmaraş am 6. Februar 2023 retten Helfer ein Kind aus den Trümmern.

«Wir waren sechs Tage in Gaziantep im Einsatz gewesen und wollten eigentlich nach Hause, dann sprach uns jemand am Flughafen an: ‚In Kahramanmaraş brauchen wir auch Hilfe.‘ Also haben wir dort noch einmal vier Tage gearbeitet.»

Vor Ort erwartete die Helfer das absolute Chaos: eingestürzte Häuser, verzweifelte Anwohner, Minusgrade. «Viele Menschen haben gesagt: ‚Da hören wir Stimmen!‘ Und wir sind in die Trümmer rein – trotz Einsturzgefahr. Leider lebte oft niemand mehr. Wir mussten dann den Familien sagen, dass sie die Stimmen vielleicht nur in ihren Gedanken und Erinnerungen gehört hatten.»

Was viele nicht bedenken: Auch der Geruch war eine extreme Belastung. «Ich bin jetzt 40 Jahre alt und habe in meinem Leben viele Gerüche erlebt. Aber Leichengeruch war neu für mich. Er war so intensiv. Zwei Wochen lang haben wir nach dem Einsatz immer wieder geduscht, aber der Geruch ging nicht weg. Die ganze Stadt war davon durchdrungen. Zum Glück war es Winter.»


Vor Ort erwartete die Helfer das absolute Chaos: eingestürzte Häuser, verzweifelte Anwohner, Minusgrade.

Besonders eindrücklich war für Halilibrahim Baskut das internationale Engagement: «Da waren Leute aus der ganzen Welt: Franzosen, Schweden, Japaner, Chinesen… Alle mit einem Ziel: Menschen retten.» In diesen Momenten zählten weder Nationalität noch Religion. «Es ging nicht darum, woher jemand kommt oder woran er glaubt. Wir waren einfach Menschen, die anderen Menschen helfen wollten.»

Die Basler Gruppe konnte fünf Menschen lebend retten, wobei eine Person leider im Krankenhaus verstarb, und rund 100 weitere lokalisieren. Dafür nutzten sie auch spezielle Sonargeräte, mit denen sogar Herzschläge von Babys erfasst werden konnten. «Dann hiess es: ‚Alle ruhig!‘ Und wir haben gehofft, dass da wirklich noch jemand lebt.»

Die Zusammenarbeit mit anderen Teams und mit den Einheimischen funktionierte trotz Sprachbarrieren erstaunlich gut. «In solchen Momenten braucht es keine Worte. Die Menschen haben uns angesehen und verstanden, warum wir da sind.»



Nach dem Einsatz gründete die Gruppe einen Verein mit dem Namen Swiss USAR – Urban Search and Rescue mit Sitz in Basel (Handelsregistereintrag: 13. April 2023). Ziel sei es, sich für künftige Katastropheneinsätze besser vorzubereiten und weiter zu professionalisieren.

Halilibrahim Baskut ist überzeugt: «So etwas kann auch in Europa passieren. Es kann überall auf der Welt sein. Wir müssen bereit sein.» Gerade deshalb sei es wichtig, sich frühzeitig zu organisieren, Strukturen zu schaffen und Menschen zu sensibilisieren. «Man sagt oft erst, es braucht sowas, wenn es schon zu spät ist. Dabei kann ein starkes Team viel bewirken – nicht erst im Notfall.» Entstanden ist ein Netzwerk für Hilfe, wenn sie am dringendsten gebraucht wird.

Swiss USAR – Urban Search and Rescue

Der Zweck des Vereins besteht darin, Menschen bei Naturkatastrophen wie Erdbeben, Überschwemmungen, Waldbränden und anderen ähnlichen Ereignissen zu helfen. Der Verein zielt darauf ab, schnelle und effektive Such- und Rettungsaktionen durchzuführen, um das Leben und das Wohlbefinden von Betroffenen zu schützen und zu fördern. Der Verein soll auch die Prävention von Naturkatastrophen unterstützen, indem er die Öffentlichkeit auf die Risiken von Naturkatastrophen aufmerksam macht und sie über Notfallpläne informiert. Der Verein wird auf ehrenamtlicher Basis betrieben, verfolgt keine kommerziellen Interessen und erstrebt keinen Gewinn.

Wer möchte, kann den Verein durch eine Spende unterstützen.

 

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